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Was hält uns vor dem Abgrund zurück, wenn das Leben an und für sich keine Bedeutung hat?

Die Frage ist, was wir größer als uns selbst sein lassen wollen, wenn Glaube, Status, Hedonismus und all die anderen Gaukeleien ihre Kraft verloren haben. Oder was vielleicht größer ist als wir mit unseren fragmentierten Egos. Wenn Du die Wahrheit kennst, wirst Du einsehen, dass auch die Wahrheit zu kennen keinen Unterschied macht. Die Wahrheit zu kennen, ändert nichts am Leben. Tag für Tag, Schritt für Schritt.


Just be, sei einfach

Eingeklemmt zwischen der Erkenntnis der Sinnlosigkeit, dem Wunsch, einen Unterschied zu machen und all den inneren und äußeren Ablenkungen. Innen ist man bedürftig, außen hat man Möglichkeiten. Jede innere Bedürftigkeit findet ihre äußere Entsprechung - Status für Narzissten, NGOs für Gutmenschen, Ideologien für diejenigen, die nicht selber denken wollen oder können. Und so weiter. Die Antwort auf dieses Eingeklemmtsein? Just be, sei einfach. Wenn es denn so einfach wäre!


Belüge Dich nicht

Ist es wirklich so, dass wir alle Dinge, die wir können, Herausforderungen verdanken, die wir gemeistert haben? Dort ist die Vergangenheit, da die Zukunft, dazwischen das Jetzt, das Sein im jeweiligen Moment. Wenn Du Dich belügst, wenn Du etwas anderes sein willst, als Du bist, weil Du das, was Du bist, nicht leiden kannst, dann lebst Du nie "hier" oder "jetzt", dann bist Du immer entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Dann nutzen wir uns gegenseitig aus, dann "brauchen" oder gar "mißbrauchen" wir unsere Lieben, damit sie uns beweisen, dass wir sind, wer wir sein wollen. Ist nicht die eigentliche Herausforderung, Dich Dir selbst zu stellen? Oder eben ich mich mir selbst? Und ist es nicht einfach zu sterben, wenn wir keine Geheimnisse mehr vor uns haben?


Nichts wollen

Das Leben hat keine Bedeutung an und für sich, aber es ist lebenswert, wenn man genau das anerkennt (sinngemäß nach Albert Camus). So wird das Leben zu einer Entscheidung, trotz dieses Abgrunds oder im Angesicht dieses Abgrunds zu leben. Die einstweilige Brücke über diesen Abgrund ist eine Aufgabe, eine Tätigkeit. Nicht rastlose Tätigkeit, denn rastlos sind die, die sich belügen. Es geht wohl aber um bescheidene, irgendwie nichts wollende Tätigkeit. Demut ist das, was den Unterschied macht. "Sei einfach", hat sie gesagt.


Was den Unterschied macht

Demut äußert sich durch die Fähigkeit, sich in seiner unmittelbaren "Geworfenheit ins Dasein" selbst zu erkennen. Demut ist das, was den Unterschied macht. Der Unterschied selbst ist Liebe. Deshalb kommen diejenigen, die ihren Glauben (an welchen Gott auch immer) wirklich durchdrungen haben, am Ende auf den Begriff der Liebe - zu anderen Menschen, zur Natur. Wer einen Beweis braucht, schaue ins Gesicht einer geliebten Person oder gehe in den Wald und warte, bis sich das Bild ändert. Was damit gemeint ist? Einfach warten. Es klappt nicht? Dann warte länger.


Zwischen Kerker und Abgrund

Auf der einen Seite der Kerker des Wunsches, jemand anderes sein zu wollen, nach Status oder Anerkennung oder sonst irgendwas zu streben, nur damit man nicht merken muss, wer man eigentlich ist. Auf der anderen Seite der Abgrund der Erkenntnis, dass da nichts ist, kein großer Plan, kein Sinn. Nur ein günstiger und gleichzeitig höllischer Zufall in einem ansonsten riesigen Universum.


Die andere "letzte Ausfahrt"

Der Ausweg ist ein schmaler Pfad, der aus drei Elementen gemacht ist. An vielleicht erster Stelle steht die Entscheidung, dennoch zu leben, einfach zu sein und nichts zu wollen. Dann geht es um eine Tätigkeit oder eine Aufgabe - und spätestens hierbei darf man auch einen Unterschied machen wollen, wenn es eben nicht nur darum geht, jemand zu sein oder besser als die anderen zu sein, um der Hölle der Einsicht zu entrinnen, durchschnittlich oder gar banal zu sein. Und eigentlich, also "ganz eigentlich" geht es drittens um Liebe, wobei Liebe wahrscheinlich dasjenige der drei Elemente ist, das am wenigsten oder gar nicht zu erklären ist. 

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