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Arme Schweine - oder: Eine seltsame Form von Selbstmord

Über die Kultur der russischen Armee konnte man in den vergangenen Wochen einiges lesen. Dass sich die Kampfkraft der ukrainischen gegenüber der russischen Armee unterscheidet, liegt mittlerweile auf der Hand. Die einen haben ein Ziel und kämpfen mit einer hoch flexiblen Auftragstaktik, die anderen... ja, was eigentlich? 


Die Russen kommen, so scheint es, vor allem für zwei Dinge in die Ukraine: um Raketen abzufeuern und... um zu sterben.


Die russischen Soldaten kämpfen für einen Mythos, der mit ihnen selbst kaum etwas zu tun hat. Selbst wenn es sich um harte Nationalisten oder Militärbegeisterte handeln sollte: Wenn wir ernst nehmen, was Wissenschaftler über die Kampfkraft von Armeen herausgefunden haben, dann reicht ein Mythos nicht aus. 


Die Kampfkraft liegt, so lautet das Fazit vieler Analysen, vor allem in der Bindung zwischen den Soldaten (untereinander und zu ihren Offizieren) begründet. Und wenn Russland immer noch die entmenschlichende Militärkultur hat, von der dieser Tage oft die Rede ist, dann handelt es sich tatsächlich um arme Schweine zwischen zwei Fronten: dem Druck von vorn und dem Druck von oben. 


Wenn die Erfolge ausbleiben, der Sinn der Aktion nicht überzeugt, die Logistik nicht stimmt und man Kameraden sterben sieht: was ist dann angesichts des Drucks von vorn und des Drucks von oben die psychologische Konsequenz? 


Man gibt innerlich irgendwie auf. 


Vor dem Hintergrund allzu westlicher Deutungsfolien könnte man meinen, dass man sich angesichts solcher Umstände auflehnt. Aber das Gegenteil ist wahrscheinlich: Sich aufzulehnen hätte noch gruseligere Konsequenzen als aufzugeben. Manche sabotieren ihre Waffen, manche weigern sich, aber der psychologisch wahrscheinlichste Fall ist, so will ich meinen, der des innerlichen Aufgebens. 


Man tut nicht oder nur sehr halbherzig, was man tun soll. Gleichzeitig hat man aufgrund des allgegenwärtigen Drucks keine anderen Optionen: Egal, was man tut, man kann nur... sterben. Und das tun die Soldaten dann auch. 


Es handelt sich um eine ebenso sinnlose wie verständliche Form des Selbstmords: Ich weiß nicht, was ich hier soll, ich wollte vielleicht mal etwas, will aber nicht mehr, gleichzeitig kann ich nichts ändern und auch nicht fliehen. Egal, was ich mache, es bleibt mir nur, wütend zu sein und weiterzumachen. Ich sehe immer wieder Kameraden sterben, bis mir angesichts der Lage selbst zu sterben eine mögliche Option erscheint. 


In westlichen Vokabeln würde man vielleicht von erlernter Hilflosigkeit sprechen. Aber es ist womöglich viel schlimmer: Gewohnt daran, wenige oder keine Optionen zu haben, gerät die ausweglose Situation zu einer Hölle, in der es Sinn macht, den letzten Willen zum Leben aufzugeben und sich erschießen zu lassen.

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